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Authentizität

Ich scheiß‘ auf deine Biografie
Authentizität versus Kunstfiguren im Musikgeschäft

Samstag, 15 Uhr, Panelzelt
Dass Künstler ihren bürgerlichen Namen an den Nagel hängen und sich hinter mehr oder weniger einfallsreichen Pseudonymen verstecken, ist seit jeher gang und gäbe im Musikgeschäft. Dass sie ihre Identität ebenfalls in der Backstage-Garderobe abgeben, um Erfolg zu haben, auch?
Als braunhaariger Teenie, der sich am Klavier die Finger wundspielte und zahlreiche musikalisch exzellente Stücke komponierte, fand Stefani Joanne Angelina Germanotta kaum Beachtung. Doch seit Lady Gaga als blondiertes Schnittchen im Latexkleid exzessive Videos dreht, dabei „we are plastic but we still have fun“ singt und ihre Herkunft hinter bizarren Neonsonnenbrillen versteckt, hagelt es Preise und Schlagzeilen.
Andererseits werden Bushido und Co. nicht müde ihre Pseudo-Authentizität in diversen Talkshows unter Beweis zu stellen und mit ihrer Ghetto-Biografie mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Was uns mit Anis Mohamed Youssef Ferchichi in der Hauptrolle noch bevorsteht, hat vor geraumer Zeit schon einmal für prall gefüllte Kinokassen gesorgt: Paul Kalkbrenner spielt sich in „Berlin Calling“ selbst und alle Welt glaubt, sein Leben abseits der Mattscheibe bestehe ebenfalls aus Drogenexzessen und allnächtlichen Abstürzen. Im Gegenzug erobert eine Spezies à la Gisbert zu Knyphausen mit Vollbart, traurigem Blick und Akustikgitarre die Barhocker der Nation und proklamiert mit Texten, aus denen das Leben schreit, wie unglaublich normal das Dasein als Musiker ist (vor allem, wenn man aus Hamburg kommt) – alles Plastik, außer ich!
Ist Authentizität nur noch Ergebnis einer gelungenen Inszenierung? Sind Deichkinds Krawall und Remmidemmi und Lady Bitch Rays Verbalattacken unter der Gürtellinie nur Vermarktungsstrategie oder Ausdruck und Kritik an unserer gesellschaftlichen Situation? Sind Allewelts-Typen mit Holzfäller-Hemd glaubwürdiger als Sängerinnen im Pailletten-BH oder identifizieren wir uns mit Kunstfiguren weitaus mehr? Gibt es da Trends? Ist Achim Mentzel, weil er seit 45 Jahren mit dem gleichen Zahnpasta-Grinsen in die Linse schaut, ein Original? Und wo bleibt die Musik bei all der Inszenierung?

Mit Amos (Imperator of Pop), Rummelsnuff (Käpt’n), Thorsten Seif (Buback), Dr. Ralf von Appen (Musikwissenschaftler Universität Gießen), Gudrun Gut (Monika Enterprise, tbc); Moderation Stefan Mühlenhoff (Journalist)

So war’s

Auch wenn die Mützen variieren

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Auf der diesjährigen (Pop Up wurde heute der Gegensatz zwischen Kunstfiguren und authentischen Künstlerpersönlichkeiten diskutiert. Dazu hatten die (Pop Up-Macher eine ganze Reihe Gäste eingeladen: Torsten Seif (Buback Records, Manager der Band Deichkind), Dr. Ralf von Appen (Musikwissenschaftler), Theresa Stroetges (Künstlerin, Musikwissenschaftlerin), Amos (Imperator of Pop) und Rummelsnuff (Künstler), durch das sehr lebendige Gespräch führte der Journalist Stefan Mühlenhoff.

Amos, der sich selbst als Kunstfigur versteht, stellte gleich zu Anfang die Frage, ob denn die Verkörperung von Authentizität ausschließlich positiv zu bewerten sei: Schließlich sei es ja auch Aufgabe des Künstlers, zu unterhalten. Eine Kunstfigur erlaube außerdem vielfach größere Freiheit als die authentische Darstellung der eigenen Persönlichkeit: „Du musst nicht laufend checken: Würde ich das tun?, und kannst eine Idee viel konsequenter verfolgen.“ , so der Imperator of Pop. Er sagte, dass aber auch Kunstfiguren nur dann glaubhaft und erfolgreich dargestellt werden können, wenn sie eine Facette der Persönlichkeit des Künstlers darstellen würden.

Der Musikwissenschaftler Ralf von Appen wies darauf hin, dass Authentizität angesichts der medialen Vermitteltheit der Künstler ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich sei. Einigkeit herrschte recht schnell darüber, dass Authentizität vor allem eine Zuschreibung durch die Fans ist. „Man interpretiert als junger Fan in die Künstler hinein, dass sie leben, was sie sagen“, sagte Torsten Seif.

Rummelsnuff hingegen, der die Bühne etwas später als die anderen Diskutanten, dafür aber mit einer Live-Performance betrat, erklärte, er würde sich nicht als Kunstfigur sehen. „Das ist keine Inszenierung, das ist das, was aus mir herauskommt.“, sagte er. Und: „Ich halte mich für authentisch – auch wenn die Mützen variieren.“

Auch Theresa Stroetges betonte, dass Authentizität vor allem Zuschreibung sei, und an der Frage hänge, ab sich die Fans mit dem Künstler Identifizieren könnten. Am Beispiel der Band Radiohead zeigte sie drei Faktoren auf, die das Bild von Authentizität prägen würden: Identifikation, persönliches Leiden und Verweigerung dem Kommerz gegenüber. Dies seien aber ebenfalls Zuschreibungen.

So habe Radiohead-Sänger Thom Yorke in einigen Interviews sogar bestritten, authentisch zu sein, was aber seine Glaubwürdigkeit in den Augen seiner Fans nur erhöht habe. Und auch die Kommerzverweigerung sei, so Schulke, letztlich nur ein Verkaufsargument. Deichkind-Manager Seif bemerkte, dass ab einer gewissen Größenordnung der Begriff authentisch auch nur Marketing sei.

Ralf von Appen fasste ein Teilergebnis zusammen: „Womit wir uns identifizieren können, wird als authentisch wahrgenommen.“ In einer zunehmend unsicheren Welt, gebe es eine gesteigerte Nachfrage nach Authentizität, allerdings aufgrund der medialen Vermittlung von Künstlern zunehmend weniger Angebote. Auch Castingshows wie DSDS seien dazu da, Authentizität zu vermitteln – selbst wenn keine da sei.