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Alternative Vertriebsstrategien

Klick mich, ich bin ein neues Album!
Neue Herausforderungen für Musikvertrieb und -vermarktung

Zur Zusammenfassung der Diskussion

Download Komplett-Mitschnitt (MP3, ca. 32 MB)

Die alte Dame Kapitalismus siecht so vor sich hin, wie die letzten drei Jahre zeigten, und setzt immer mehr althergebrachte Produktions-, Verbrauchs- und Konsummuster frei. Für die Musikwirtschaft ist das freilich nichts neues, denn seit der Internetrevolution sind die Möglichkeiten und damit aber auch Unsicherheiten gewachsen, Musik an den geneigten Hörer zu bringen. Vertriebswege diversifizieren und multiplizieren sich, kaum jemand kann da noch folgen. Kundenbindung – ein magisches Wort aus alten Tagen?

Labels und Vertriebe scheinen da obsolet geworden zu sein (und doch gibt es sie noch!), denn eigentlich kann man alles allein organisieren. Aber will man das als Künstler oder Band auch? Sollte nicht besser das Musik-Schaffen im Vordergrund stehen statt das Ranschaffen von Geld? Denn das braucht man immer noch, will man eine gute Aufnahme mit einer ordentlichen Produktion realisieren.

Hat man sich nun doch zum selbstorganisierten Komplettpaket entschlossen, stellt sich also die Frage nach den Produktionskosten! Doch woher nehmen? Kredit von der Bank? Crowdfunding? Fan-Aktien? Kann man überhaupt so viel Geld durch diese Modelle einnehmen, dass die Kosten gedeckt werden? Und wie mache ich im digitalen Rauschen des WWW auf mich und mein Projekt aufmerksam?

Doch auch etablierte Labels müssen sich, so scheint es, neue Produktformen und -vertriebswege einfallen lassen. Boxsets, Fanpakete, Abo-Systeme – wofür gibt der Hörer noch Geld aus? Oder hat er es längst in mp3-Downloads gesteckt?

Sowohl aus Sicht der Musiker als auch der Labelbetreiber sollen auf dem Forum die erwähnten Modelle vorgestellt und die resultierenden Fragen diskutiert werden. Vielleicht zeigt sich ja, wie dem drohenden Bankrott am besten ein Schnippchen geschlagen werden kann. Und am Ende lassen wir ’nen Hut rumgehen …


Mit Stephan Popp (Vision Bakery), Gregor Samsa (Sounds Of Subterrania), Andreas Bischof (Analogsoul), Oliver Sittl (Believe Digital), Marcus Richter (Moderator; Radio Fritz).

Die Zusammenfassung der Diskussion

„Die Fans dort abholen, wo sie sind“

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Den erfolgreichen Auftakt der Pop Up X machte das Panel „Klick mich, ich bin ein neues Album!“ Vor vollbesetzten Stühlen diskutierten Andreas Bischof vom Leipziger Band-Netzwerk analogsoul, Sounds of Subterrania-Labelbetreiber Gregor Samsa, Stephan Popp, der Geschäftsführer der Leipziger Crowdfunding-Plattform Visionbakery, und Oliver Sittl vom Digitalvertrieb Believe Digital mit Radio Fritz-Moderator Marcus Richter über alternative Vermarktungsstrategien im Musikbereich.
„Man muss schon ein bisschen kreativ sein, um die Kohle für eine Plattenproduktion zusammenzubekommen“, so das Urteil Bischofs, der mit analogsoul seit gut drei Jahren nach alternativen Finanzierungswegen für Musik sucht und sich nach eigener Aussage so manchem Mechanismus des kapitalistischen Musiksystems verweigert. Zum Beispiel durch CD-Produktion on demand oder Vorfinanzierung der Releases mit Hilfe von „modernem Subskriptionskauf“ namens Crowdfunding. „Wenn die Fans wissen, dass sie selbst Teil einer Sache werden können und eine einzigartige Gegenleistung wie etwa ein Wohnzimmer-Konzert oder ein handsigniertes Einzelstück bekommen, stecken sie gern Geld in ein Projekt“, so Stephan Popp, der mit seiner Plattform Visonbakery schon einige Musikprojekte erfolgreich unterstützte. Der Vorteil des Crowdfunding-Modells, bei dem Fans musikalische Projekte durch Spenden ermöglichen, ist die Risikofreiheit für Initiatoren und Unterstützer. „Entweder die gewünschte Summe kommt innerhalb von 55 Tagen zusammen und das Projekt wird realisiert oder alle Spender bekommen ihr Geld zurück.“ Besonders wichtig für die erfolgreiche Umsetzung: die Verbreitung über das Internet. Fans werben andere Fans über soziale Netzwerke wie Facebook – „wenn Netzwerke nicht als Einwegkommunikation begriffen werden, wenn man die Fans nicht als Vertrieb, sondern selbst als Fan anspricht, bergen Social Networks enormes Potenzial für das Publikmachen neuer Musik“, meint Bischof, der mit Gregor Samsa in der Ansicht übereinstimmt, dass Musik wieder zunehmend als Kulturgut und nicht als Ware begriffen werden sollte. „Je mehr Menschen es gibt, die mit Musik Geld verdienen wollen, desto teurer werden CDs“, so Samsa, der sich mit seinem Label vor allem auf Vinyl spezialisiert hat. „Saturn hat ohnehin das CD-Regal gekillt“, meint Oliver Sittl, der lange für BMG tätig war und weiß, dass es heute nur über irrsinnige Rabatte möglich ist, in den Handel zu kommen. Deswegen sieht auch er die Zukunft des Vertriebs in der Interaktion zwischen Fans und Machern und hat deswegen einen Player entwickelt, der die virale Kommunikation erleichtert. Weil man „die Leute dort abholen muss, wo sie sind“ sammelt das Tool automatisch Mailadressen, verschickt Newsletter, bietet einen direkten Kauflink und macht Verkäufe und weltweite Social Activities direkt nachvollziehbar – „das Schweizer Taschenmesser des Musikvertriebs.“
Gregor Samsa, der nach wie vor vor allem auf tolle Live-Erlebnisse als Kaufargument setzt, akquiriert seine Kunden über Mailorder und kreative Aktionen. Für eine Veröffentlichung des Musikers AMOS gestalteten beispielsweise Künstler aus 40 Ländern 400 je einzigartige Cover. „Bei all den vielen tollen Ideen, die man austüftelt, um Künstler bekannt zu machen, sollte man aber immer darauf achten, dass jede Form von Musik anders an den Mann gebracht werden muss.“
Während Samsa meint, dass Musikmagazine sich selbst überflüssig gemacht haben, weil sie Bands nur noch gegen Bares rezensieren, ist Andreas Bischof nach wie vor der Meinung, dass die gezielte Platzierung von Rezensionen und der persönliche Kontakt zu versierten Journalisten entscheidend zum Absatz von Veröffentlichungen beitragen können. Oliver Sittl hingegen hält das Netz für „das Feuilleton der Neuzeit – im Internet kannst du unique sein, da musst du nicht ins Fernsehen oder auf die Titelseite!“
Fakt ist jedoch,dass drei der vier Diskutanten nach wie vor nicht vom Musikvertrieb leben können, für Gregor Samsa ein bewusster Entschluss: „Jeder Künstler, der sich für den Weg entschieden hat, dass er mit Musik etwas ausdrücken und nicht nur Geld scheffeln will, weiß, dass er nachts in einem Nebenjob schuften muss – wieso soll ich als Label also nicht auch nebenbei arbeiten.“ Die einzige Währung, die für ihn zählt: „Das Glücksgefühl nach einem grandiosen Konzert.“